Ein
sonderbarer Zug zieht durch das sonst so
stille Moseldörfchen. Der Jude Aron, der
Unglücksrabe, der Linksbeiner, der
Tanzlehrer und Gemeindehäusler, gibt mit
seiner Fiedel den Ton an. Lauter Weiber
folgen ihm im komischem Gleichschritt.
Junge und alte, einige im Sonntagsstaat,
andere mit Narrenkappen auf den Köpfen
und mit bunten grellfarbigen Tüchern und
Bändern geschmückt. So ziehen sie daher.
Sie lachen und necken! Ja, heute ist ihr
Tag. Heute wollen sie Fastnacht feiern.
Die zwei vorhergehenden Tage waren für
die Männer und für die Jugend. Der
heutige Fastnachtdienstag ist nur für
die verheirateten Frauen. Eine Ledige
darf nicht teilnehmen. Heute trinken sie
eine Ohm (189 Liter) Wein. Das ist Usus
und hat kirchliche Tradition! Krankheit
gibt es heute nicht. Manches Weiblein,
das von Reißen und Zipperlein geplagt
ist, schreitet so leicht dahin, als gäbe
es weder Hexenschuss noch sonstige
Gebrechen. Mögen auch die Kinder zu
Hause schreien. Dreihundertvierundsechzig
Tage im Jahre müssen sie die Kinder
hüten, kochen, putzen und flicken. Nun
kann wenigstens an einem Tage die Rollen
vertauscht sein. Heute können die
Männer die Kinder halten, Wiegen
schaukeln und die Kleinen mit
Milchsüpplein füttern.
Immer größer wird der Zug. Eine
wehrhafte Huldin, die Hampitts Liss,
schreitet wie eine Amazone vorn voran und
schwenkt stolz die Weiberfahne.
Vor jedem Hause, in der eine junge
Frau wohnt, die seit dem letzten
Fastnacht vermeiert (ihr eingebrachtes
Vermögen mit dem des Ehemannes
verschmolzen hat) und unter die Haube
gekommen ist, wird Halt gemacht. Die
junge Frau wird herausgerufen, tritt ein
in die Reihen und zieht mit, im Arm einen
mächtigen Henkelkorb gefüllt mit
Bäckereien. So wird jede junge Frau
abgeholt. Das dauert recht lange, wenn,
wie in diesem Jahre, viele
Eheschließungen stattgefunden haben.
Der Zug geht zum Tanzsaal. Dort liegt
das Fässchen mit dem edlen Saft und
harrt der Zecherinnen. Daneben steht
breitbeinig der Franz, der Flurschütz,
angetan mit der blauen Schürze. Den
Zapfen schlägt er ein. Streicht sich den
langen Bart und probiert mit Kennermiene
den Rieslingstee.
Während das Liss die Fahne durch ein
Fenster steckt, nehmen die anderen Frauen
Platz, jede an ihrem Tisch, denn in sechs
Tischen ist der Ort eingeteilt. Vorn
nimmt die Mariann in komisch ernsthafter
Pose Aufstellung, mit der Rechten einen
mächtigen Hausschlüssel schwingend.
Neben sie pflanzt sich die Gritt mit
Palmbüschel und einem kleinen Eimer voll
mit Wasser auf.
Jede junge Frau tritt vor die Mariann,
die ihr mit dem Schlüssel auf den Kopf
tupft, als Zeichen dafür, dass sie im
Hause dasselbe Recht hat wie der Mann.
Hierauf taucht die Gritt den Wedel in das
Wasser und besprengt sie damit. Zudem
wurde ihr noch ein Strauß geschenkt, und
nun ist die junge Frau vollwertig den
älteren und hat ein Anrecht, in jedem
Jahre an Umzug und Gelage teilzunehmen.
Sie war aufgenommen, die Junge, in den
Kreis der Leidens-, der Zechgenossinnen.
Als die Ammi, eine stille, anmutige junge
Frau, an die Reihe kommt und den
Blondkopf zum Schlüsselschlag neigt,
blitzt es auf in Marianns Augen.
Ammi hatte nach ihrer Meinung ihrer
Jüngsten den Schatz weggeschnappt. Nun
soll die wat extras haben.
Fest tupft sie auf den Scheitel, sodass
sich der Blondkopf duckt vor Schmerz.
Doch niemand wagt eine Einwendung, zu
sehr fürchtet man Marianns scharfe,
rücksichtslose Beredsamkeit.
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Dann hebt
das Zechen an. Es wird wahrhaft
mannhaft getrunken. Franz,
der Langbart, hat viel zu zapfen. Er
schenkt aus in Zinnkrügen. Die jungen
Frauen verteilen ihre Weck. Ist aber eine
Base (gemeint ist eine ältere
unverheiratete Frau) darunter, so erhält
die einen großen Weck mit Zucker
bestreut; dabei herrscht frohes Geplauder.
Immer lebhafter wird das, immer lauter.
Der Oktobertee wirkt, macht
die Zunge noch geschwätziger. Oh, da
schwirrt es von Geplapper und Tuscheln
und Kichern und Lachen. Am ganzen obern
und untern Gestade des Ortes hört man es,
zum Grauen der Männer. Und dann wird
Narretei getrieben. Es bilden sie Paare.
Getanzt wird Walzer und Polka. Schneller
wird der Tanz, wilder die Sprünge! Ein
Hexentanz! Wehe dem Manne, der es wagt,
den Saal zu betreten! Von allen Weibern
wird er überfallen; sämtlichen Knöpfe
am Anzug werden ihm abgeschnitten. Er
wird mit Püffen und Stößen unter Spott
und Gelächter hinausgetanzt. Kein
Hosenbein durfte sich sehen lassen! Nur
der Franz, der Schenke, und mit ihm der
Musikant, der Jude Aron, dürfen bleiben.
Spät wird es, wenn die Schönen sich
trennen und ihren Ehegespons, der
ermüdet sein Pfeifchen im stillen Winkel
der Stube raucht, aufsuchen. Hatte er
doch im Keller den Neuen von der Hefe
genommen - was hätte er auch heute sonst
tun sollen?
Mit der Weinlieferung hat es folgende
Bewandtnis: Auf manchen Ländereien in
Bremm ruhte der Mostzins, der dem Pfarrer
und dem Küster jedes Jahr geliefert
werden musste. Dabei kam es den Winzern
oft auf einige Maß mehr nicht an, so
dass das Liefersoll meist überschritten
wurde. Dieser Überschuss wurde auf einen
Ohm festgelegt, den anfangs die Männer
zur Arbeit in der Lohhecke erhielten. Die
Frauen beschwerten sich. Hatten sie doch
mit dem Haushalt und allem drum herum
auch ihre Mühe und Arbeit! Die Männer
gingen zudem das ganze Jahr über ins
Wirtshaus. Zudem steigerte der Wein nicht
unbedingt den Tatendrang in der Lohhecke.
Sie, die Frauen, wollten den Ohm Wein
haben und bekamen ihn schließlich auch
zugestanden, und den genehmigten sie sich
regelmäßig am Fastnachtsdienstag.
Die Bremmer Weiberfastnacht wurde zur
Tradition, die allmählich auswuchs. Als
die Mostlieferung durch eine einmalige
Abfindungssumme abgelöst wurde, zahlte
die Kirche noch eine Zeit lang zur
Fastnacht etwa 6 Taler. Da ein
rechtlicher Anspruch auf diese Zahlung
jedoch nicht bestand, wurde schließlich
die Auszahlung eingestellt. Die
Fastnachtsfeier der Frauen hörte aber
keineswegs ganz auf. Man verlegte die
Feier ins Wirtshaus.
Fastnachtsmontags von vier bis sieben
Uhr (am Nachmittag) tanzten nur die
Frauen, erst am Abend kamen die Männer,
Jünglinge und Jungfrauen.
So überliefert im Jahr 1922 vom
Hauptschullehrer Nikolay.
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