Die Abtei
Himmerod war durch fromme Schenkungen
reich geworden. Mit den irdischen Gütern
war aber weltlicher Sinn in die Mauern
eingekehrt. Im kühlen Klosterkeller
lagen in langen Reihen stattliche Fässer,
gefüllt mit köstlichem Wein von der
Mosel. In der Klosterküche ward manch
leckerer Braten bereitet, und die
verweichlichten Mönche ergötzten sich
an Spiel und Tanz. Das hörte der hl.
Bernhard. Er griff ohne Säumen zum
Wanderstabe und zog durch die
Eifelwälder nach Himmerod. Mit gütigen
und strengen Worten hielt er den Brüdern
ihre Sünden vor und ermahnte sie zu
Umkehr. Am späten Abend zog sich der
Heilige in die engste der Klosterzellen
zurück und streckte die müden Glieder
auf das harte Lager. Es war eine
liebliche Maiennacht. Mit dem
geheimnisvollen Rauschen der Wälder
drang süßer Blütenduft durch das
geöffnete Fenster. Im nahen
Klostergarten begann eine Nachtigall zu
schlagen, und bald tönte der
vielstimmige Chor der nächtlichen
Sängerinnen ergreifend an das Ohr des
Heiligen. In Wonne versunken vergaß
Bernardus die schweren Sorgen, die ihn
hergeführt. Wie gebannt lauschte er den
lockenden Melodien und überhörte so des
Vesperglöckleins mahnende Stimme. Erst
als der Chorgesang der Mönche von der
Klosterkirche herüberklang, erwachte er
aus seinen seligen Träumen. Da wusste er,
wie es gekommen war, dass die
Klosterleute die himmlischen Dinge über
die irdische Lust vergessen hatten. Er
trat ans Fenster und beschwor die
Nachtigallen, fürderhin den Sinn der
Mönche nicht mehr durch ihr süßes Lied
zu betören. Er segnete die gefiederten
Sängerinnen und forderte sie auf, zu
jenem Kloster zu fliegen, wo man
mangelhaft sänge. Lasst euch dort
nieder, jubelt so eindringlich, bis man
eure süßen Stimmen nachahmt und ihr zu
Lehrmeistern des Gotteslobes werdet.
Wehklagend erhob sich die gefiederte
Schar in die Lüfte und flog salmabwärts
zur Mosel.
Noch wussten sie nicht, wo sie sich
niederlassen würden.
Als sie das neugegründete
Augustinerstift Stuben überflogen und
dort hoch in Lüften den Choral der
adeligen Nonnen vernahmen, beschlossen
sie, sich hier niederzulassen, um die
hörbar noch recht ungeschulten Mädchen-
und Frauenstimmen in der Gesangeskunst zu
unterweisen. Und siehe da, hatten die
Nachtigallenlieder die Himmeroder Mönche
zur Welteslust verführt, so bewirkten
sie im Stubener Schwesternkonvent gerade
das Gegenteil.
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Seitdem die
kleinen grauen Vögelein aus den Erlen-
und Weidenbüschen der Moselinsel ihre
lieblichen Töne erschallen ließen,
nahmen Klosterfrieden und Klosterzucht zu,
so dass Prior Richard von Springiersbach,
der das Kloster Stuben beaufsichtigte,
erfreut Kurfürst Albero in Trier
berichten konnte: Die hundert
adeligen Jungfrauen und Witwen im Konvent
zu Stuben leben in Eintracht und
Gottesfurcht und bilden eine
gottwohlgefällige Klosterfamilie, die
ihrem Schutzpatron, dem heiligen Nikolaus,
alle Ehre macht. Wenn sie nach
gewissenhafter Tagesarbeit
gemeinschaftlich Vesper und Komplet
singen, jubelt aus frommen Frauenkehlen
hundertfaches Gotteslob. Ja,
selbst Kaiser Maximilien war fasziniert
vom klaren und hellen Gesang des
Nonnenchores, als er seine Reise zum
Reichstag in Trier unterbrach, um
einundeinenhalben Tag im Kloster Stuben
zu verweilen, wo er während einer Messe
die kostbaren Reliquien verehrte. Welch
hochbegabten Lehrmeister die frommen
Sängerinnen wohl haben möchten?!
so waren seine Gedanken.
Als der Kaiser nachts im
klösterlichen Gastzimmer vor Gedanken
und Sorgen um des Reiches Wohl nicht zum
Schlafe kommen konnte und sinnend sich
auf dem Lager wälzte, erhob draussen im
Klostergarten eine Nachtigall so ihr
schmelzend Lied, dass die bestrickenden
Töne sich durchs offene Fenster stahlen.
Eine gefiederte Schwester antwortete in
den Uferweiden und alsbald fiel eine
dritte, dann eine vierte und schließlich
eine ganze Schar aus dem nahen Auenwald
ein. Der Kaiser lauschte hingerissen den
lieblichen Tönen und spähte prüfend in
die laue Sommernacht. Da gewahrte er,
dass die Bäume und Hecken wie lebendig
von zauberisch schlagenden Nachtigallen
waren. Beglückt ließ er sich von ihnen
in den Schlaf singen und erwachte am
Morgen so frisch und froh, dass er beim
Abschied der ehrwürdigen Meisterin des
Konvents, Frau Odilia von Eltz, bewegt
die Hand drückte und schelmisch meinte:
Kein Wunder, wenn der Chor so
trefflich singt. Hat er doch so
treffliche Lehrmeister!
In Trier berichtete der Kaiser dem
Kurfürsten Richard von Greiffenklau
über sein Erlebnis in Stuben. Dieser
nahm die Worte des Kaisers wohlgefällig
auf. Fortan konnten die Stubener
Nachtigallen, wie man sie nannte,
öfters die Gläubigen in der Hohen
Domkirche mit ihren Gesangesvorträgen
begeistern.
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