"...wo
die annere Leut die Köpp han, habt ihr
Dutze, donnerte der Pastor in der
kleinen, aber feinen Kirche zu Bremm an
der Mosel, daß selbst die stattliche
Figur des heiligen Laurentius am
Hauptaltar das große Zittern bekam. Und
weiter: Eine Karre voll Lohe ist
euch armen Sündern wichtiger, als die
Heiligmachende Gnade! Was war
geschehen? Was hatte den Gottesmann
derart erzürnt, daß er den von harter
Knochenarbeit und religiöser Demut
gebeugten Gestalten so deftig die Leviten
las? Nun, die Geschichte spielte sich -
so sagt man - in der Zeit nach dem ersten
Weltkrieg am Fronleichnamstag ab. Die
Menschen der kargen Gegend zwischen
Hunsrück und Eifel waren in jenen Jahren
noch ärmer als die Mäuse der
Pfarrkirche Laurentius. Arbeitsplätze
gab es kaum und Tourismus ein absolutes
Fremdwort. Die Leute lebten von dem, was
die Natur ihnen gab. Und das war nicht
gerade viel: Etwas Wein und Obst, ein
paar Zentner Kartoffeln, ein wenig Korn
und gelegentlich mal ein Stück Wild(-fleisch),
das sich rein zufällig in
einer achtlos weggeworfenen Drahtschlaufe
stranguliert hatte - und natürlich Lohe
(Rinde der Niederwald-Eichen), die für
ein paar Mark an die umliegenden
Gerbereien verkauft wurde.
Technische Hilfsmittel wie Auto,
Traktor und Motorsäge waren unbekannt.
Das einzige zur Verfügung stehende
Transportmittel war oftmals nur eine
zweirädrige Karre mit zusätzlichem
Zugseil. Die An- und Abmärsche zur weit
entfernten Feld- und Waldarbeit
bedeuteten härtesten Körpereinsatz -
und immens viel Zeit. Um diesen Aufwand
auf ein halbwegs erträgliches Maß zu
reduzieren, verbrachte man nicht selten
einige Tage - und Nächte - draußen in
Gottes freier Natur. Da kam es durchaus
schon mal vor, daß jegliches Zeitgefühl
abhanden kam. Und genau das widerfuhr
einigen Männern, die im Distrikt
Sudert - weit entfernt vom
Dorf - tagelang im steil zum Erdenbach
abfallenden Niederwaldhang Lohe geschält
hatten. Vollgepackt mit der wertvollen
Fracht, kämpften sich die müden,
unrasierten Gestalten nach tagelanger
Einsamkeit über schlechte, tiefgleisige
Wege zunächst bis Beuren. Dort wurde
noch mal eine Rast eingelegt, um den
restlichen Fluppes (legendärer
Haustrunk der ärmsten Winzer)
herunterzukippen. Dann gings weiter.
Nach stundenlanger, kräftezehrender
Fahrt bogen die Männer schließlich mit
dem knarrenden und ächzenden Gefährt
über holpriges Kopfsteinpflaster ins
Dorf ein - und landeten, o Schreck,
mitten in der Fronleichnams-Prozession.
Nun, da ich sonst eher praxisorientierte
Jagdgeschichten aufschreibe, wird sich
jetzt so mancher Leser die berechtigte
Frage stellen: Alles schön und nett,
aber was hat das mit der Jägerei zu tun?
Na, ja, eigentlich nichts, rein gar
nichts! Und dennoch mußte ich an diese
alte Uberlieferung von Mund zu Mund
denken, als ich am Fronleichnamstag dem
neuerrichteten Hochsitz über fein
gesäuberten Pfad in der Neefer-Kehr
zustrebte und sah, daß die rührigen
Bremmer Bürger allenthalten
Maien geschlagen hatten (dieser
schöne Brauch ist leider eingeschlafen).
Nanu, Maien, was ist das denn
jetzt schon wieder?, fragte mich
ein Jagdgast aus der Düsseldorfer Gegend.
Also, erklärte ich ihm,
Maien sind gut beastete und
demzufolge reich belaubte Hainbuchen, mit
denen früher in den hiesigen Dörfern
jene Häuserfronten und Straßensäume
begrünt und geschmückt wurden, an denen
die Prozession entlangging.
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Ferner sagte
ich dem interessierten Mann (der sich
hier an der Mosel offenbar sehr
wohlfühlte): Obwohl ich,
zugegebenermaßen, nie ein übertriebener
Frömmler war, der allwöchentlich aus
Augenwischerei mit der grünen Bundhose
Kirchenbänke poliert, beeindruckt mich
dieser christliche Feiertag mit seinen
feierlichen Liedern und prächtig
herausgeputzten Straßenaltären immer
wieder aufs neue. - Und dann gibt es da
ja schließlich auch noch die sattroten
Böcke, die mittlerweile allesamt ihren
leichten, bequemen
Sommeranzug tragen und des
Jägers Herz erfreuen...
Vorsichtig, jedes Geräusch vermeidend,
erklomm ich den Sitz oberhalb einer
Schneise. Behaglich zurückgelehnt,
betrachtete ich wohlgefällig mein
Bauwerk. Dem alterfahrenen
Jagdpächter muß es ebenfalls zugesagt
haben, denn als er seinen ersten Ansitz
hier beendet hatte, gab er mir spontan
einen Bock frei (auf IIc-Böcke hatte ich
ohnehin Prokura). Ja, und den
wollte ich mir an diesem Fronleichnamstag
gern holen. Meine Geduld wurde diesmal
nicht allzusehr strapaziert. Plötzlich,
ich mochte eine knappe halbe Stunde
ausgeharrt haben, wechselte ein
schwächliches Reh unter mir aus dem
Niederwald in die Schneise. Ein kurzer
Blick mit dem Fernglas genügte:
Knopfbock (also llc, wie wir damals
sagten). Auf die geringe Entfernung (etwa
30 Meter) fiel mir diese Feststellung
nicht schwer.
Hastig und unsicher zog der
Kümmerling derweil in den frischgrünen
Eichenstockausschlag und begann gierig
davon zu äsen. Dabei ruckte ständig
sein Haupt in die Höhe, um ängstlich
die Umgebung zu beäugen.
Ja, ja, das sind sie, die
Endprodukte
falschverstandener Rehwildhege; zu hohe
Wildbestände und überalterte Ricken
bringen solche Knopfer hervor.
- Aber auch - und damit mit steigender
Tendenz - die Mordwaffe Auto...
Der Schuss - damals noch ohne Brille
und Super-Zielfernrohr - bereitete keine
Probleme: Im Donnerschlag meines getreuen
Dreilaufs versank der Bock im
bodendichten Blätterwald. Ein ärmliches
Leben in Angst und Schrecken vor
stärkeren Artgenossen war abrupt zu Ende.
So soll es sein, kurz und ohne Qualen.
Während ich meine Beute versorgte und
mir nach altem Brauch den schweißigen
Eichbruch an den Hut steckte, kam mir der
kernige Spruch des seligen Bremmer
Pastors in den Sinn wo die annere Leut
die Köpp han, habt ihr Dutze.. Zufrieden
schmunzelnd trug ich leichtbeschwingten
Schrittes meine kaum 10 Kilo wiegende
Beute nach alter Vätersitte im Rucksack
heimwärts.
Ubrigens: Die damaligen Akteure -
Pastor und Loheschäler - setzten
nachhaltige Akzente. So wird
beispielsweise meinen drei Enkeln (Kilian,
Verena und Mäxchen) nicht erspart
bleiben, als Bremmer Knuppe (Abwandlung
von Knutze) tituliert zu
werden.
Aber was solls: Die Bremmer
tragen es mit Humor - und sind stolz auf
ihr schönes Weindorf am Fuße des
Calmont.
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