Sitzt man in
einer fröhlichen Weinrunde in irgend
einem Ort an der Moselschleife um den
Petersberg, dann wird er immer wieder in
Erinnerung gebracht: Der originelle
Bruder Heinrich. Die Überlieferungen von
ihm sind so spritzig wie der
Moselriesling. Deshalb gehört er zur
Landschaft und bleibt geradezu
unsterblich. Und wenn die Zunge der
Zecher gelöst und die Phantasie angeregt
ist, dann wird ihm auch gerne etwas
zugedichtet ganz besonders dann,
wenn für die Gäste der Mosel das
vorhandene Repertoire nicht ausreicht. So
erhellt Heinrich immer wieder die
Gemüter. In so mancher Winzerstube ist
er denn auch als Porträt verewigt und
prostet verschmitzt lächelnd, mit etwas
geröteten Backen, einem jeden zu, der
den Moselwein auch so genießt wie er es
zu seinen Lebzeiten getan hat. Es gab
ihn wirklich, den Eremiten Heinrich. In
allen Überlieferungen schildert man ihn
als einen sorglos lebenden Menschen, der
sich seines Lebens freute, wobei der
Moselwein sein Elixier war. Er lebte mit
einer Ziege zusammen in einem primitiven
steinernen Bau am rauen und wilden
Nordhang des Hochkesselberges. Seine
Figur soll stattlich und sein Körper
sehr behaart gewesen sein. So nannte man
ihn auch scherzhaft Bruder
Haarig. Vermutlich war er jener
Priore Henrico, der 1179 in einer Urkunde
des Klosters Stuben in Erscheinung tritt.
Demnach war er also bei den Nonnen
Klosterpfarrer. Später, in einer anderen
Urkunde anno 1190, als er schon in der
Einsamkeit lebte, wird Hernrico dann als
Luscus bezeichnet. Lurco wird im
Lateinischen mit Woll-Lüstling
übersetzt.
Fast täglich pilgerte er von seiner
Klause aus zur nahen Peterskapelle auf
dem Berg um dort der Messe beizuwohnen.
Danach führte sein Weg stets hinunter
zum Kloster Stuben. Hier wurde er gerne
gesehen, und die Nonnen verwöhnten ihn
mit einem kräftigen Frühstück. Dazu
gab es einen guten Wein aus dem von den
Klosterfrauen so genannten Frauenberg.
Abschließend gab es zur Stärkung
noch eine kräftige Fleischbrühe, und
dann ließ sich Heinrich vom Ferger (Fährmann)
zur anderen Moselseite nach Bremm
übersetzen.
Am Bremmer Gestade führte sein Weg am
Fuße des Calmont vorbei. Dieser heiße
Berg, mit seinen rebenbewachsenen
Terrassen und mit Buchsbaum
überwucherten Felsen, speichert in der
brütenden Mittagshitze so viel
Sonnenkraft auf, dass sogar noch in der
Nacht die Trauben weiter reifen. Kamen
bei Heinrich in der Hitze Durstgefühle
auf, dann gesellte er sich zu einem
Winzer, der in einer schattigen
Wingertslaube eine Pause eingelegt hatte
und gerne den Weinkrug mit dem allseits
beliebten Eremiten teilte. Man hatte sich
viel zu erzählen und schmunzelte über
die Nonnen vom Gegenüber, die ja gar
nicht so Ohne waren, diese edlen Töchter
des Adels. Ja, da wäre es für die in
die Jahre gekommene Meisterin Gisela wohl
einfacher gewesen, einen Sack Flöhe zu
hüten, als diese verwöhnten Fräuleins!
Heinrich wusste, von was er sprach. Er
war ja lange genug dort tätig.
Schließlich tippelte Heinrich weiter
nach Eller. Stand dort ein Keller offen,
dann genügte ein kräftiges
Hallo, und der im Funsellicht
fassschwenkende Winzer unterbrach sofort
seine Verrichtung. Schon hatte er das
Zapfschläuchelchen zur Hand und ließ
den weinkundigen Eremiten die noch etwas
frische und leicht moussierende Ernte aus
der Ellerer Hölle probieren. Wahrlich,
dieser Wein war im Ansatz gut und für
die weitere Reife vielversprechend.
Im kommenden Jahr sollte er auf der
Flasche sein und einer weiteren Probe
unterzogen werden war
Heinrichs Meinung. Man lachte und
Heinrich bemerkte schon etwas weinselig,
dass diese Lage den Namen Hölle zu
unrecht trägt. Denn, wer diesen
Wein trinkt, der wird doch eigentlich
himmlisch belohnt!
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In Ediger
wurde im Stubener Hof eingekehrt. Dort
trank er mit dem Wirt Mathes auf das Wohl
der Kreuzritter, welche nicht nur gegen
die Heiden im fernen Palästina kämpften,
nicht nur Reliquien und sonstige Schätze,
sondern auch die Rieslingrebe aus dem
Libanon hierhin brachten. Ja, der Mathes,
der war ein Kenner des Weines. Wenn er
einen guten Tag hatte, dann griff er aus
der Nische im hintersten Eck seines
Kellers eine verschmutzte altgelagerte
Flasche. Einen solchen Wein konnte man
vor Genuss nur schlürfen. Dank und
Anerkennung konnte man dem Mathes am
besten zollen, wenn man keine großen
Worte verlor, sondern anerkennend nickte
und ihm auf die Schulter schlug. Doch
nun kamen bei Heinrich so langsam
Hungergefühle auf. So führte seine
letzte Etappe nach Leimen. Leimen war ein
kleiner Ort, wo damals die Ritter von
Leimen sesshaft waren. Schon früh fanden
dort die Halfen, die Fuhrleute der
Moselschifffahrt, in der Wirtschaft Zum
Nicklösje ihre Herberge. Sie waren
besonders robuste Gesellen, die Sauf- und
Fluchmänner, die nie nüchtern wurden.
Die langten zu! Zu ihnen gesellten sich
gerne Männer aus Leimen und den
Nachbardörfern. Dann trank man mit den
wetterfesten Kerlen um die Wette. Trat
dann noch ein origineller und
trinkfreudiger Eremit in die Wirtsstube
ein, dann war die Runde komplett. Vom
Kupferkessel auf dem Herd wurden
Speckschnitten und Sauerkraut aufgetischt.
Aus Zinkeimern schöpfte man den Wein.
Mit Gejohle und Gebrülle wurde auf den
Schiffsmann (Schiffseigener) angestoßen.
Er hatte schließlich die ganze Zeche zu
zahlen.
Während die Halfen längst noch nicht
daran dachten, das Zechgelage zu beenden,
obwohl ihre Pferde, die am
gegenüberliegenden Ufer untergebracht
waren und eigentlich einer Nachsicht
bedurften, steckte sich Heinrich noch
eine Brotkruste ein und setzte sich ab.
Die Speckschnitten waren zu verdauen und
ließen eine gesunde Bettschwere
aufkommen.
Mit einem Kahn ruderte er auf die
andere Moselseite. Eingekuschelt im
Strohlager seiner Eremitage beendete
schließlich Heinrich sein Tagewerk. Das
Gegröle der immer noch zechenden Halfen
vom Gegenüber störte ihn nicht. Im
Gegenteil, es ließ ihn an die robusten,
aber eigentlich doch herzlichen Gesellen
erinnern und selig einschlafen. Wenn ihn
nun am Morgen die unruhig gewordene Ziege
weckte, die endlich gemolken werden
musste, dann waren die rauen Kerle schon
längst mit dem Aufzäumen der Pferde
beschäftigt. Der mit Wein gefüllten
Bummes, wie man den Krug nannte, wurde am
Zaumzeug befestigt. Er musste für die
erste Teilstrecke reichen. Und wenn dann
vom Schiff der Ruf erschall in
Gottes Namen, wenn der Halfe darauf
mit einem durchdringenden Peitschenknall
antwortete und die Pferde in Trapp setzte,
dann begann auch für Heinrich das
Tagewerk. Die frische Ziegenmilch und die
Brotkruste vom gestrigen Abend waren das
gegebene Frühstück. Und wenn der Himmel
gutes Wetter andeutete, war Eile geboten
dann stand doch schließlich der
Messebesuch in der Peterskapelle wieder
an.
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